A. Kucharek: Altägyptische Totenliturgien

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Titel
Altägyptische Totenliturgien. Band 4: Die Klagelieder von Isis und Nephthys in Texten der Griechisch-Römischen Zeit


Autor(en)
Kucharek, Andrea
Reihe
Supplemente zu den Schriften der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch – historische Klasse 22
Erschienen
Heidelberg 2010: Universitätsverlag Winter
Anzahl Seiten
831 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Stefan Bojowald

Das hier besprochene Buch über die spätägyptischen Klagelieder von Isis und Nephthys stellt die überarbeitete Fassung der Heidelberger Dissertation der Autorin aus 2003 dar. Das Werk setzt die ersten drei Bände der Altägyptischen Totenliturgien aus der Feder von Assmann fort.

In der Einleitung wird zunächst ein Streifzug durch die bisherige Forschungsgeschichte unternommen (13–14). Die Gattung war früher noch nicht als Ganzes untersucht worden. Die Leitlinien der folgenden Textanalyse werden skizziert, deren Schwerpunkt auf der kultischen Rolle der Frau, den Klagemechanismen sowie der Witwenklage als Vorbild für die Osirisklage liegt (15). In den Klagen sind bis auf einzelne Zitate keine direkten Übernahmen aus älteren Textkorpora zu finden (14). Die Texte stammen vermutlich aus der Region von Theben, die in der Spätzeit zum wichtigen religiösen Zentrum aufgestiegen war (17). Das Material kann von einer jüngeren Ausnahme abgesehen ins 4.–3. Jh. v. Chr. datiert werden (19). Die Wurzeln der Klagen reichen bis ins Alte Reich (PT 535) zurück (23). Im Mittleren Reich sind solche Klagen aus CT 51– 59/CT 74 bekannt (24). Im Neuen Reich haben sich keine literarischen Spuren dieser Klagen erhalten (25).

Der erste Hauptteil führt die Textzeugen mit Angaben zu Herkunft, Alter etc. auf (31–55). Die Studie basiert auf sechs Texten mit den Bezeichnungen «Lamentations », «śЗḫ IV», «Songs», «Die Menge vorlassen», «Großes Dekret» und Stundenwachen, die teils modernen Konventionen entsprechen. Die Texte werden in Transkription, Übersetzung und Kommentar dargeboten (56–496).

Der zweite Hauptteil wertet die Texte in neun Abschnitten aus:

Im ersten Abschnitt wird die formale Gliederung betrachtet. Die Liedstrukturen werden freigelegt und in verschiedene Ebenen (visuell / präskriptiv / performativ) unterteilt (497–521). Die Illustration durch Vignetten kommt bei den Klageritualen auf Papyrus nur in der Berliner Handschrift der «Lamentations» vor (500). Das Verfahren hat dagegen bei den Stundenwachen der Tempelwände zum festen Standard gehört (503). Die Beispiele aus Edfu und Philä sind ikonographisch am engsten verwandt, während Dendera separate Wege geht (503).

Der zweite Abschnitt wendet sich der inhaltlichen Gliederung der Texte zu. Das Klagelied im Osirisritual setzt die Rezitation durch Isis/Nephthys bzw. deren irdische Repräsentantinnen und Aspekte der Witwenklage voraus (522). Die Wiederbelebung des Gottes kommt als weiteres Kernelement hinzu, bei der die Schutzfunktion der Klagen im Vordergrund steht (523). In kosmischen Manifestationen (Mond/Orion/Flut) und Tempeln lebt er nach der Bestattung weiter fort (528). Die Sicherung der Erbfolge durch Inthronisation des Horus spielt ebenfalls eine Rolle (529). Der Stoff ist in «Lamentations »/«śЗḫ IV» linear und in «Stundenwachen »/«Songs»/«Die Menge vorlassen» zyklisch geordnet (532). Das «Dekret» hat nicht wie die übrigen späten Klagelieder als Ritual der Balsamierungshalle gedient, sondern die unterweltliche Reise des Osiris beschrieben (524).

Der dritte Abschnitt setzt sich mit Terminologie und Metaphorik der Trauer auseinander. Die ägyptische Sprache zeichnet sich darin durch ein reiches Vokabular aus (543). Die Trauer schlägt sich v. a. in Bildern wie «Krankheit» (549–554), «Finsternis» (554–560) und «Einsamkeit» (560– 565) nieder.

Der vierte Abschnitt ist den Akteuren und Sprechern der Texte gewidmet. Das größte Interesse wird der «ḏr.t» – Klagefrau und «ḥЗ.t» – Klagefrau entgegen gebracht, deren Benennung nach den gleichnamigen Vögeln auf das Klage und Flugverhalten eigene Suchmotiv zurückgehen soll (570). Die Bedeutung der Vogelrufe sollte jedoch nicht unterschätzt werden.

Im fünften Abschnitt schließen sich Ausführungen zu rituellen Handlungen an. In den Klagen sind nur spärliche Hinweise auf diese Handlungen zu entdecken (581ff). Die Klage hängt eng mit dem Opfer zusammen, dessen kultischer Vollzug nicht den Klagefrauen, sondern Priestern oblag (598).

Der sechste Abschnitt spürt der Frage der rituellen Rezitation der Texte nach. Die Aufgabe ist neben den «ḏr.t» – Frauen vom Vorlesepriester erfüllt werden (611).

Im siebten Abschnitt wird der Zusammenhang zwischen Klage und Verklärung behandelt. Die Verklärung stellt sich als entscheidende Seite der Klage heraus (615). Der achte Abschnitt geht der Verbindung von Osirisklage und Choiakfest auf den Grund. Die Klagerituale waren ursprünglich für das Fest des Gottes in Abydos vorgesehen, konnten aber auch an anderen Orten durchgeführt werden (632). Das «Dekret» stimmt phasenweise mit der Osirisliturgie «śЗḫw I» überein (647). Die Erwähnung von «Stunden» im «Dekret» deutet auf dessen Nähe zu den Stundenwachen hin (648). In der Verwendung von TB 144/TB 145 lässt sich das Dekorationsprogramm der Osiriskapelle Ouest 2 aus Dendera vergleichen (651). Im neunten Abschnitt werden einige Worte zum Charakter der Göttin Nephthys gesagt.

S. 82: zu Osiris und Nordwind vgl. M. A. Moret, in: BIFAO, 30 (1931), 734 (17).

S. 129: Die Interpretation von «nśb» als Schreibung für «Зśb» «brennen» ist ebenso möglich, zum umgekehrten Fall «Зśb» für «nśb» vgl. H. Kees, Göttinger Totenbuch – Studien, Totenbuch Kapitel 69–70 (UGAÄ 17), Berlin 1954, 9.

S. 200: zur Schreibung «šmı̓» für «ẖnm» vgl. R. Jasnow/K.-Th. Zauzich, The Ancient Egyptian Book of Thot, A Demotic Discourse on Knowledge and Pendant to the Classical Hermetica, Volume 1: Text, Wiesbaden 2005, 235.

S. 248: Die Erklärung von «bgЗ» als «Boden ist schiffbrüchig = versinkt im Wasser» dürfte zu kompliziert sein. Die bequemere Lösung stellt eine Metathese für «Зgb» «überfluten» dar, vgl. das Verhältnis «Зgb» «überfluten» – «bgЗ» «schreien» bei J. F. Borghouts, The magical texts of Papyrus Leiden I 348 (OMRO 51), Leiden 1971, 120.

S. 267: Das Verb «ı̓wh» «beladen» wird auch bei H. Goedicke, in: JEA 48 (1962), 33aj); L. Zonhoeven, in: ZÄS 125 (1998), 87, übertragen verwendet, wo es sich auf Vorurteile (?) bezieht.

S. 268: Das Verb «ı̓kk» «schreien» bei J. Osing, Hieratische Papyri aus Tebtunis I, Text, The Carlsberg Papyri 2 (CNI Publications 17), Copenhagen 1998, 77e), könnte die Stelle klären.

S. 271: zur Deutung von «štt» als Schreibung für «šṯ» «(Körper) verhüllen» vgl. K. Jansen-Winkeln, in: BSEG, 18 (1994), 36b).

S. 346/359/362: zum Wort *«ḳḳ» «Kind» vgl. D. Meeks, Étymologies Coptes. Notes et Remarques, in: S. Giversen/ M. Krause/P. Nagel (Ed.), Coptology: Past, Present, and Future, Studies in Honour of Rodolphe Kasser (OLA 61), Leuven 1994, 202.

S. 373: Die Verbindung von «ḥwЗ» «(an Land) werfen» mit «ḥwЗ» «ans Ufer werfen » (WB III, 50, 4) ist unnötig, da es sich eher um Schreibungen für prägnantes «ḥwı̓» «(ver-)schlagen» handelt, zur Schreibung vgl. J. Cerny, in: JEA, 15 (1929), 248 n. 22; H. K. Jacquet-Gordon, in: JEA, 46 (1960), 18; G. Posener, Le Papyrus Vandier (BibGen VII), Le Caire 1985, 40

S. 547: Die Deutung von «mı̓w.t» «Klage » (?) als Simplex zu «śmı̓» «berichten o. ä.» ist wohl abzulehnen. Das Wort ist u. U. zu «ı̓mm» «Wehgeschrei» bei C. E. Sander- Hansen, Die Texte der Metternichstele (AnalAeg 7), Kobenhaven 1956, 34/45; «ı̓m» «klagen» bei C. Andrews, A stone vessel with magical scenes and texts, in: W. Clarysse/A. Schoors/H. Willems (Ed.), Egyptian Religion, The last thousand years, Part I (OLA 84), Leuven, 1998, 302, oder «ı̓mw» «Wehgeschrei» bei H.-W. Fischer-Elfert, Die satirische Streitschrift des Papyrus Anastasi I., Übersetzung und Kommentar (ÄgAb 44), Wiesbaden 1986, 215/218, zu stellen.

S. 602: Das Wort «ḳḳ» «Klapper» (?) könnte onomatopoetisch gebildet sein.

Zitierweise:
Stefan Bojowald: Rezension zu: Andrea Kucharek, Altägyptische Totenliturgien Band 4, Die Klagelieder von Isis und Nephthys in Texten der Griechisch – Römischen Zeit, Heidelberg, Universitätsverlag Winter, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 409-411.